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Irritiert? Ganz natürlich.

Irritation ist ein ganz natürlicher Vorgang.

Wikipedia definiert Irritation bedauerlicherweise so: Unter Irritation versteht man einen Reiz oder eine Erregung, die meist von negativer Bedeutung ist.

Das ist eigentlich traurig, denn: Irritation ist aus einer biologischen, chemischen, physikalischen, kurz: (natur)wissenschaftlichen Perspektive zunächst ein Impuls, eine Einwirkung, ein Reiz. Ganz ohne Not zur (Be-)Wertung oder gar Deutung.

Kaum kommt jedoch ein Bewusstsein ins Spiel, ist auch die (Be-)Wertung und Deutung nicht weit:

Vermutlich liegt es am Zeitgeist, dass Irritation oft als dysfunktional, als unangenehme Störung empfunden wird.

Neue Schuhe »

In der Schuhfabrik.

Eine Schuhfabrik (Organisation) kann wie ein System verstanden werden, das sich selbst erhalten möchte.

Zu einem Zeitpunkt X sieht die Schuhfabrik tatsächlich wie ein dynamisch stabiles System aus:

Der Einkauf bestellt Rohstoffe und Leistungen. Die Logistik verwaltet. Die Produktion produziert. Das Controlling überwacht und steuert auf Basis von Kennzahlen. Das Management, das Marketing, der Vertrieb - alle handeln in ihren Kompetenzbereichen auf Basis der Unternehmens-Ziele, -Policies und der Unternehmenskultur.

Wikipedia definiert Irritation bedauerlicherweise so: Unter Irritation versteht man einen Reiz oder eine Erregung, die meist von negativer Bedeutung ist.

Das ist eigentlich traurig, denn: Irritation ist aus einer biologischen, chemischen, physikalischen, kurz: (natur)wissenschaftlichen Perspektive zunächst ein Impuls, eine Einwirkung, ein Reiz. Ganz ohne Not zur (Be-)Wertung oder gar Deutung.

Kaum kommt jedoch ein Bewusstsein ins Spiel, ist auch die (Be-)Wertung und Deutung nicht weit:

Vermutlich liegt es am Zeitgeist, dass Irritation oft als dysfunktional, als unangenehme Störung empfunden wird.

Zur Kasse »

Irritation wird ja ganz oft als dysfunktional, als unangenehme Störung empfunden. Wir hatten beim letzten Mal das Beispiel mit dem Kassenkind: 
Ein Kind, das das sich selbst organisierende Verhalten an Supermarktkassen beobachtet und Rückschlüsse zieht. Da haben wir festgestellt, dass spontane Irritationen des Systems (Daniel türmt seine Einkäufe hochkant aufs Band) Mit einer sofortigen Reaktion geahndet und korrigiert werden: es wird vordergründig offensiv wie hintergründig hinter der Hand entsprechend reagiert. Wer irritiert, stört! Trotz aller Störungen des Systems geht der Betrieb immer und immer weiter. Aus meiner Sicht wird es spannend, wenn man bei Irritationen in die Tiefe taucht und sich die ABSICHT anschaut, mit der Irritationen in die Welt gebracht werden: Ist das Unabsichtlich, Willkürlich, Absichtsvoll - wenn ja, wie? Gehen wir mal davon aus, dass ich eine positive Absicht in mir trage. Dann kann ich dennoch mindestens zwei unterschiedliche Absichten mit komplett unterschiedlichen Auswirkungen umsetzen: 1. Habe ich die Absicht, mit meiner Irritation die Stabilität eines Systems aufrecht zu erhalten? 2. Oder habe ich die Absicht, mit meiner Irritation die Aufrechterhaltung eines Systems zu stabilisieren? 1. Wenn ich mit meiner Irritation die Stabilität eines Systems aufrecht zu erhalten gedenke, Dann bin ich auf der prozessualen bzw. auf der strukturellen Ebene unterwegs: Ich störe das System auf der prozessualen Ebene, damit diese Prozesse verbessert werden. Prozessverbesserungen erhöhen meist die Effizienz und Resilienz von Abläufen: Etwas wird günstiger, sicherer, robuster, toleranter. Aber: Prozessverbesserungen lösen keine neuen Probleme im Umfeld der Organisation. Beispiel:

In einer Schuhfabrik wird vorgeschlagen, den Klebeprozess beim Zusammensetzen der Sohlen neu zu ordnen, um die Trocknungszeiten zu verkürzen. Anfangs stößt diese Änderung auf Skepsis, da der gewohnte Ablauf gestört wird – letztlich führt sie jedoch zu einer reibungsloseren Produktion und höherer Qualität, ohne dass das Gesamtsystem in Frage gestellt wird. 2. Neue, bisher unbekannte Probleme im Umfeld erfordern von einem System (oder einer Organisation) in den allermeisten Fällen eine Erhöhung der inneren Komplexität, um mit den neuen Herausforderungen umgehen zu können. Eine Erhöhung der inneren Komplexität entsteht durch gezielte Irritation des Systems: Dabei wird ein bisher stabiles System auf eine bestimmte Weise gezielt irritiert und dadurch de-stabilisiert. Beispiel: Ein externer Trend zur nachhaltigen Produktion fordert die Schuhfabrik heraus, das gesamte Produktionssystem zu überdenken. Als Reaktion darauf wird der traditionelle Herstellungsprozess grundlegend umgestaltet: Es werden neue, umweltfreundliche Materialien eingeführt und die Organisationsstruktur flexibler gestaltet, sodass das System nicht nur bestehende Abläufe optimiert, sondern sich auch langfristig an veränderte Marktbedingungen anpasst. Gleichzeitig wird eine Individualisierung der Schuhe angeboten - Menschen können sich ihren ganz eigenen Schuh gestalten und bestellen. Der Übergang von einem stabilen Zustand zum nächsten stabilen Zustand kann eine ordentliche Herausforderung bedeuten: 
Es geht darum, die Unsicherheit des Übergangs regelrecht auszuhalten. In dem Schuhfabrik-Beispiel entstehen wahrscheinlich an vielen Stellen große Veränderungen, wie die Produktion, Logistik, Einkauf, Vermarktung, Controlling komplett veränderte Arbeitsweisen erfinden müssen. In diesem Fall irritiere ich das System, um von einem stabilen Systemzustand in den nächsten zu kommen, d.h. ich stabilisiere die Aufrechterhaltung des gesamten Systems: Es kann weiter bestehen, obwohl es im Umfeld immer neue Probleme, Überraschungen und Herausforderungen gibt. Unternehmen, die ihre Systeme selbst immer wieder gezielt irritieren lassen, sind deutlich resilienter gegenüber Überraschungen und Problemen aus dem Umfeld, z. B. Leistungsfähigere Marktbegleiter.